Antike französische
Großuhren
- Reisebericht - Morez, Juli 2009 -
Auf dem Rückweg besuchen wir Morbier, die Nachbargemeinde von Morez. Sie wird dominiert von der schönen Pfarrkirche aus dem 19. Jh., in der sich ein Gedenkstein für Pierre Claude Mayet befindet, einem der berühmtesten Uhrmacher aus der ersten Epoche der Comtoise-Uhren. In einem kleinen Nebenraum der Kirche steht die wohl weltweit größte Comtoise-Uhr, die im Jahr 1984 erbaut wurde und eine stattliche Höhe von 6,75 Metern aufweist.
Auch hier machen wir einen kurzen Abstecher auf den örtlichen Friedhof und treffen wieder auf bekannte Namen wie Morel, Mayet, Romanet, Bailly-Comte etc.
Abschließend bleibt zu sagen, daß wir begeistert sind von den malerischen Flusstälern, den bizarren Kalksteinriffen und den imposanten Wasserfällen des Jura. Malerische mittelalterliche Dörfer und Städte spiegeln die Vergangenheit wieder und sind noch nicht so vom Tourismus eingenommen wie andere Regionen. Von der Hektik und Schnelligkeit des 21. Jahrhundert ist hier nichts zu spüren.
Doch die Franche-Comté ist nicht nur berühmt für ihre Naturschönheiten und historischen Städte,sondern auch für ihre regionalen kulinarischen Spezialitäten, und bevor wir voller neuer Eindrücke die Rückreise antreten nehmen wir deshalb noch ein großes Stück herzhaftem Comtè-Käse mit, der Hartkäse aus dem Jura, der bis zu 24 Monaten reift und dann einen herrlich fruchtigen lang anhaltenden Geschmack besitzt. Außerdem nehmen wir als Reisemitbringsel noch ein paar Flaschen des typischen "Vin jaune" mit, ein Geheimtip in Sachen Wein, der hierzulande kaum erhältlich ist. Am besten lernt man den Gelben Wein aber vor Ort kennen. Das Jura ist mit seinen wunderschönen Landschaften ohnehin einen Urlaub oder eine Kurzreise wert.
Die Geschichte der Franche-Comté steckt in jedem Stein, jedem Baum und jedem Stück Blech und im Laufe der Jahrhunderte haben es die Bewohner immer verstanden, ihre Techniken den modernen Erfordernissen anzupassen. Hier im Jura hat etwas stattgefunden, dessen man sich heute dort offenbar leider nicht mehr im gebührenden Maße bewußt ist, denn bereits mehr als 100 Jahre bevor Frederick Taylor Ende des 19. Jh. seine auf Arbeitsteilung und Rationalisierung beruhende Lehre von der wissenschaftlichen Betriebsführung entwickelte, fand hier eine produktionstechnische Revolution statt. Und die nachfolgende Brillenindustrie des ausgehenden 19. Jh. war eigentlich nur die späte Konsequenz dieser Revolution. Bedenkt man, dass bereits in der vornapoleonischen Zeit bereits pro Jahr mehrere Tausend Comtoise-Uhren in arbeitsteiliger Fertigung und in der Blütezeit der Uhrenproduktion nach 1860 sogar 60.000 bis 100.000 Uhren pro Jahr nach ganz Frankreich und darüberhinaus geliefert wurden, so kann man die Gegend um Morez ohne jede Übertreibung auch als Wiege der Industrialisierung bezeichnen. Bewußt ist das den "Morézien" aber heute nicht mehr. Auch im Prospekt des Museums steht lediglich: "Lernen Sie das erfinderische Talent der Bewohner des Jura kennen. Ab dem ausgehenden 18. Jahrhundert verwandelten sie im Winter ihre Bauernhäuser zu Werkstätten, in denen Brillen hergestellt wurden..."
Als Liebhaber antiker Comtoise-Uhren fragt man sich daher, warum das Bewußtsein über diese eisernen Zeitkästen aus dem Jura ausgerechnet im Ursprungsgebiet derart verlorengegangen ist, denn zum Reichtum einer Gegend gehört auch sein kollektives Gedächtnis, das als Verbindung zwischen den Jahrhunderten dient? Ca 230 Jahre wurden nach neuesten Schätzungen immerhin ca. 5 Mio. Comtoise-Uhren hergestellt und hauptsächlich in alle Regionen Frankreichs geliefert. Nach und nach landeten diese robusten Zeitmesser aus irgendeinem Grund dann in den Kellern und Speichern Frankreichs. Erst mit Beginn des Tourismus in den 60er Jahren des 20. Jh., im Zuge der Sehnsucht nach der "guten alten Zeit" und durch die Herausgabe des deutschsprachigen Buches von Gustav Schmitt im Jahr 1977 erlebte dieser Uhrentyp wieder eine Renaissance und wurde von findigen Händlern aufgekauft und nach Deutschland, Holland und in die Schweiz geschafft, wo sie heute, mehr oder weniger liebevoll restauriert, wieder ihre Funktion aufgenommen haben.
Leider ist aber scheinbar zusammen mit dem Ausverkauf der antiken Originale auch das Hintergrund-Wissen über die faszinierenden Zeitkästen verlorengegangen. Weder im großzügigen Museum noch in den Drucksachen des Office de Tourisme wird die große Vergangenheit entsprechend gewürdigt und es gibt keinen direkten Anlaufpunkt für Freunde antiker Comtoise-Uhren. In diesem Zusammenhang kann man den Uhrensammlern und Autoren der Fachliteratur, allen voran Siegfried Bergmann und Gustav Schmitt, ein uneingeschränktes Lob zollen, die durch Ihre Veröffentlichungen das Wissen und die geschichtlichen Hintergründe zum Thema Comtoise-Uhren dokumentieren und für die Nachwelt lebendig halten.
Es waren schöne Tage im Jura und bereits auf dem Rückweg beschließen wir, diese reizvolle Gegend alsbald wieder zu besuchen, denn es gibt noch Vieles, dass von uns entdeckt werden möchte.
Nachtrag 2014
Aufgrund der Bemühungen der Association Horlogerie Comtoise (AHC) sind seit 2013
im Rathaus von Morez (gegenüber dem Brillenmuseum) im Saal Jean Monnet 17 antike
Comtoise-Uhren aus allen Epochen, größtenteils in Ihren originalen Standuhr-Gehäusen,
zu besichtigen.